Es rumort schon länger bei den Firmen um Altötting und Burghausen herum, nicht weit von der österreichischen Grenze. Das sogenannten bayerische Chemiedreieck erstreckt über die südostbayerischen Landkreise Altötting, Mühldorf und Traunstein. Als wichtigste Produktionsstandorte gelten Burghausen (Wacker Chemie, OMV-Raffinerie), Trostberg (Alzchem, BASF), Waldkraiburg und Burgkirchen (Chemiepark Gendorf). Schon seit vielen Jahren ärgert man sich dort über eine völlig unzureichende Bahnanbindung: Die Strecken sind eingleisig und nicht elektrifiziert.
Was jetzt hochkocht, hat mit der Energieversorgung der Region zu tun. Ein ganz wichtiger und wunder Punkt: 5 Milliarden kWh an Strom verbrauchen die Unternehmen dort. Das sind 8 Prozent des Strombedarfs von ganz Bayern, auf die Bundesrepublik heruntergerechnet sind es 1 Prozent. Zweimal soviel, vielleicht auch dreimal soviel, werde man brauchen, um in den nächsten Jahren die Produktionsprozesse klimaneutral zu gestalten, schätzt Bernhard Langhammer. Er ist Sprecher der Unternehmens-Initiative Chem Delta Bavaria.
Bei einer Informationsveranstaltung der Netzbetreiber Tennet und Bayernwerk sagte Langhammer das – und schränkte auch gleich wieder ein: „Das setzt voraus, dass wir ausreichend Wasserstoff bekommen.“ Sonst werde der Stromverbrauch durch die Elektrolyseure, die dann vor Ort gebaut werden müssten noch westlich höher.
Windkraftprojekt mit Fragezeichen
Einen Schlag ins Kontor stellte Anfang des Jahres eine Bürgerentscheidung in Mehring dar, bei der ein Windparkprojekt abgelehnt wurde. Das heißt zumindest, dass zehn von 40 Windrädern, die den Chemiepark mit grünem Strom versorgt werden könnten, nicht gebaut werden. Oder zumindest nicht an den vorgesehenen Standorten. Im Raum Altötting ist auf einer Fläche von 5.000 Hektar der größte Windpark des Freistaats geplant, die Windturbinen sollen eine Gesamtleistung 288 MW bringen, als Investitionssumme werden 400 Millionen Euro aufgerufen. Projektentwickler ist die deutsch-französische Firma Quair.
Im Zusammenhang mit der Windpark-Ablehnung war auch Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) unter Beschuss geraten. Er hätte sich im Vorfeld lieber um dieses Projekt kümmern sollen, statt Bauerndemo-Hopping zu betreiben, hieß es von politischen Gegner und auch der Koalitionspartner CSU übte alles andere als Zurückhaltung.
Neue Stromnetzprojekte für mehr Sicherheit
Zudem ist auch die Versorgung mit Strom „von außen“ momentan nicht gerade ein Vorzeigeprojekt. Bisher steht nur eine alte 220-kV-Trasse zur Verfügung. Aber Abhilfe ist geplant. Kürzlich stellten Tennet und Bayernwerk ihre Pläne vor, die Investitionen im dreistelligen Millionenbereich umfassen. Neben einer schon geplanten 380-kV-Trasse will Tennet eine zweite bauen, die über zwei Stromkreise nochmal 5.000 MW heranschaffen kann. Sie führt von Burghausen in die Nähe von Simbach am Inn, ist rund 15 Kilometer lang und soll „weit vor“ dem im Netzentwicklungsplan festgehaltenen Jahr 2035 unter Strom gesetzt werden.
Die andere Höchstspannungsleitung zwischen Pirach und Zeilarn soll 2029/2030 in Betrieb gehen. Auch neue Umspannwerke und eine Schaltanlage sind Teil der Projekte. Das Bayernwerk kümmert sich parallel dazu um viele Vorhaben auf der darunter liegenden Verteilnetzebene mit ebenfalls neuen oder ertüchtigten Trassen und zusätzlichen Umspannwerken. Das neue Verteilnetz soll dann auch mehr lokal erzeugten Ökostrom aufnehmen und zu den Verbrauchern bringen können.
Es geht um die Zukunft der Industrie
So viel zum Umfeld, in dem in diesen Tagen der „Energiegipfel stattfand. „Es geht jetzt gerade um die Zukunft der hiesigen Industrie. Schaffen wir es nicht, im Chemiedreieck den benötigten Strom zur Verfügung zu stellen, um klimaneutral zu produzieren, verlieren wir im schlimmsten Fall mittelfristig die Unternehmen“, sagte dort Burghausens Bürgermeister Florian Schneider, der zu der Veranstaltung eingeladen hatte. Es gehe darum, Arbeitsplätze und damit Wohlstand zu sichern.
Während man sich beim Netzausbau jetzt zumindest auf dem Weg befindet, bereitet den Teilnehmen des Energiegipfels die Bürgerinitiative „Gegenwind Altötting“, in der ein AfD-Stadtrat eine maßgebliche Rolle spielt, weiter große Sorgen. Sie ist nämlich auch in anderen Standortgemeinden des Windparks aktiv und strebt weitere Bürgerentscheide gegen das Vorhaben an. Begründet wird der Widerstand mit Eingriffen in die Natur und Artenvielfalt. Politik und die Bayerischen Staatsforsten, auf deren Gelände die Windräder Platz finden sollen, wollen aber das Projekt auf jeden Fall umsetzen. So wie auch und nicht nur die Firmenchefs der Unternehmen im Chemiedreieck.
MBI/gdr/2.4.2024
Energie gesucht im Chemiepark
In den Vorstandsetagen der im bayerischen Chemiedreieck ansässigen Unternehmen geht schon seit längerer Zeit die Angst um. Jetzt haben sie sich zu einem Energiegipfel getroffen.
Erschienen am
02.04.2024
letzte Aktualisierung am
02.04.2024