Newsletter und Analysen für die Neue Energiewelt seit 2003

EU und Bundesregierung ignorieren Kritik am Kernfusionsprojekt ITER

Quelle: Süddeutsche Zeitung (Auflage: 391.894) Seite 19 Mauritius Kloft

Originaltitel: Teure Hoffnung
Originaluntertitel: Das Fusionsprojekt ITER kostet Milliarden, liegt aber hinter Plan
Der geplante Kernfusionsreaktor ITER soll statt ursprünglich fünf mittlerweile knapp 20 Milliarden Euro kosten. Das technische Zwischenziel Plamaerzeugung haben beteiligte Forscher erneut um sieben Jahre verschoben, und auch eine erste Stromlieferung soll nun erst „2055“ kommen. Manfred Fischedick vom Wuppertal-Institut und andere lehnen das Projekt ab; die EU dagegen will allein ihren Beitrag für 2021 bis 2027 auf sechs Milliarden Euro verdoppeln.
Das bekannteste und aufwendigste Projekt zur Entwicklung der Kernfusion sei der International Thermonuclear Experimental Reactor, kurz ITER, in Südfrankreich, heißt es in der „Süddeutschen Zeitung“. Sieben Partner, die USA, China, Russland, Indien, Japan, Südkorea und die EU, seien an dem Mega-Projekt beteiligt. Seit 2007 bauten sie an dem Reaktor. Im Jahr 2018 sollte ursprünglich Wasserstoffplasma erzeugt werden. Das werde jedoch erst frühestens Ende 2025 der Fall sein. Das wiederum sei die Voraussetzung, dass die weiteren Experimente anlaufen könnten. Die Kosten seien „längst außer Plan“. ITER sei immer wieder teurer geworden, von geplanten fünf auf knapp 20 Milliarden Euro. ITER werde wohl auch das Zieljahr 2050 nicht erreichen. Frühestens 2055 könne es soweit sein, dass ein neuer, größerer Demonstrations-Reaktor Strom liefere; kommerziell erst zehn Jahre später, schätzten ITER-Wissenschaftler. – Nach Auffassung des Schweizer Kernforschers Michael Dittmar habe das Fusionsprojekt damit seinen Sinn verfehlt. Diesen Schluss ziehe er in einem Gutachten, das er für die Grünen-Fraktion im Bundestag erstellt habe und das der Süddeutschen Zeitung vorliege. Manfred Fischedick vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie: „Die globalen Probleme müssen bis 2050 gelöst werden, dafür kommt ITER zu spät“. Ohnehin könne die Stromversorgung bis 2050 vollständig durch erneuerbare Energien abgedeckt sein, wird Fischedick weiter zitiert. – Fusionsforscher wollten aber an dem Projekt festhalten, heißt es in der „Süddeutschen Zeitung“, und ebenso das Bundesforschungsministerium. – Mit 45 Prozent trage Euratom den Großanteil der Kosten. Im jetzigen Finanzrahmen der EU von 2014 bis 2020 seien für ITER fast drei Milliarden Euro veranschlagt. Das Budget solle aber verdoppelt werden: Mehr als sechs Milliarden Euro wolle die EU von 2021 bis 2027 in die Anlage stecken. Wenn Deutschland allein aussteigen wollte, ginge das nur, wenn es Euratom verlässt. Ob das möglich ist, ohne damit auch die EU zu verlassen, sei jedoch „fraglich“.
Erschienen am 11.11.2019
letzte Aktualisierung am 11.11.2019